3. Mai 2022

Bücher: „Mein Kreativ-Business: Unternehmensgründung im Kreativbereich“ von Dunja Supp

Als ich mich vor 15 Jahren selbständig gemacht habe, war ich Mitte 20 und hatte keine Ahnung, was ich da eigentlich mache. Ich war jung, ich hatte Power und Lust, war neugierig und probierte es einfach aus. Was mir sicher zugute kam, war mein Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, das ich kurz vorher beendet hatte, aber abgesehen davon betrat ich Neuland, ohne Landkarte, ausgestattet nur mit meinem inneren Kompass. Heute kann ich sagen, dass diese Reise eines der größten Abenteuer meines Lebens ist, bei dem es kein finales Ziel, sondern nur den Genuss der Erfahrung im Hier und Jetzt gibt.

Wenn ich heute Menschen kennenlerne, die etwas Ähnliches vorhaben und mich um Rat bitten, kann ich zwar hier und da Tipps geben und vor allem Mut machen, aber eine Expertin bin ich noch lange nicht. Deshalb merkte ich auch mit großen Augen auf, als ich das Buch „Mein Kreativ-Business: Unternehmensgründung im Kreativbereich“ von Dunja Supp entdeckte. Spätestens beim Blick auf den Inhalt war klar, dass dies genau das Buch ist, das ich vor 15 Jahren gebraucht hätte.

Von der Ideenfindung und ersten Schritten, über rechtliche Fragen, Sortiment, Preisgestaltung und Vertriebswege, Workshops, Branding, Sichtbarkeit und Marketing, bis hin zu Motivation und Krisenmanagement, Selbstorganisation, Money-Mindset und Weiterbildung werden alle Themen abgedeckt, die auf dem Weg in die Selbständigkeit relevant sind. Die Autorin, selbst Unternehmensgründerin mit eigenem Stoffgeschäft und immer tausend Ideen im Kopf, liefert solide und verständliche Informationen, gibt jede Menge Tipps und Anregungen aus der Praxis und plaudert immer wieder aus dem sprichwörtlichen eigenen Nähkästchen. Ich habe das Buch von Anfang bis Ende gelesen und befinde: Es ist ein sehr gutes, sehr hilfreiches Buch, auf das ich jetzt immer verweisen werde.

Der Bedarf ist nach meiner Einschätzung tatsächlich groß, denn die meisten Menschen, die sich im Kreativbereich selbständig machen wollen, verstehen erst einmal nichts oder nur wenig von Unternehmensgründung. Daran sollte die Umsetzung von großartigen Ideen und verrückten Träumen aber nicht scheitern. Denn diese Menschen und ihre Projekte und Kunstwerke und Verrücktheiten, die so viel Schönheit, Freude, Inspiration und Heilung in das Leben bringen, würden der Welt schlicht fehlen. Das war sicher auch einer der Gründe, warum Dunja Supp dieses Buch geschrieben hat. Mehr erzählt sie im Interview:

Dein Buch heißt „Mein Kreativ-Business“. Wie kommen Kreativität und Business bei dir zusammen? Was ist dein Hintergrund?

Eigentlich wollte ich Germanistik studieren, aber ein Studium war finanziell nicht drin, weil meine Mutter zu diesem Zeitpunkt sehr schwer erkrankt ist. Also habe ich eine Banklehre gemacht, weil ich dachte, das ist eine gute Basis und dann hab ich schon mal etwas in der Tasche. Der Witz an der Sache war, daß mir das dann wirklich Spaß gemacht hat. Danach habe ich ein BWL-Studium in der Abendschule drangehängt. Genäht habe ich schon immer und es hat mir immer Freude gemacht. Gelernt habe ich das von meiner Oma. Mit den Kindern und meinem ersten eigene Zuhause habe ich mich an einer alten Klapper-Discounter-Nähmaschine ausgetobt. Plötzlich wollten alle aus dem Freundes- und Bekanntenkreis etwas genäht haben und fragten an, ob ich ihnen das beibringen könnte. Mit einem Dawanda-Shop habe ich gestartet und dann einen Raum angemietet. Ein Jahr später habe ich einen Laden angemietet und bin durchgestartet.

Wie bist Du auf die Idee für das Buch gekommen?

In meinen Kursen habe ich viele Menschen kennengelernt, die meinen Weg sehr ungewöhnlich fanden. Eine „sichere“ Stelle in der Bank aufzugeben, um dann mit einer Tätigkeit, die eher mit Hobby als mit Geld verdienen assoziiert wird, das ist für manche schwer nachvollziehbar. In meiner Familie gibt es sehr viele Selbstständige und für mich ist das eher Normalität. Ich denke, dass es rund um das Thema viele Fragen gibt und ich wollte einfach nicht, dass irgendwo jemand sitzt, der gerne seine Ideen realisieren möchte und sich von dem ganzen Drumherum davon abhalten läßt. Ich habe den theoretischen Unterbau und glaube fest daran, daß es wichtig ist, dass wir unsere Ideen verwirklichen. Und dann sehe ich ganz viele, ganz wunderbare Kreative, die unglaubliche Arbeiten machen, aber das nicht vermarkten können und in der Folge auch nicht davon leben können. Das ist traurig, die Welt braucht dringend schöne Dinge. Und ich habe in vielen Gesprächen gemerkt, daß es viele ungelebte Träume gibt. Da wollte ich etwas Handfestes dagegen setzen und Mut machen.

Worin liegen deiner Erfahrung nach die größten Herausforderungen für Menschen, die sich mit einem Kreativ-Business selbständig machen wollen?

Es steht der Irrglaube im Raum, dass man „damit“ kein Geld verdienen kann. Es braucht einen ganzen Sack voll Arbeit , Geduld und gute Nerven. Ich hatte das große Glück, dass meine Familie und im Besonderen mein Mann und meine besten Freunde immer daran geglaubt haben, dass das etwas Gutes wird. Ich kenne aber KollegInnen, die immer mit den negativen Stimmen aus dem Umfeld zu kämpfen haben. Ich hatte viele Momente, in denen ich an mir selbst gezweifelt habe. Da tut es so, so gut, etwas Positives zu hören und Menschen zu spüren, die dir Mut machen. Die negativen Stimmen kommen oft von Menschen, die selbst eine ungelebte Idee haben, und denen Du jetzt zeigst, dass es eben doch geht. Und da war es ein großes Learning für mich, dass diese Negativität nichts mit mir zu tun hat, sondern in meinem Gegenüber begründet ist.

Was ist dein wichtigster Tipp für angehende Selbständige in diesem Bereich?

Lasse Dich nicht beirren. Schaue nicht nach den ganzen anderen links und rechts, mache dein Ding. Versuche nicht, es allen und jedem recht zu machen und ein möglichst breites Angebot zu haben, mache das, was DU schön findest, zeige DEINEN Stil. Stehe für deine Werte, deine Themen. Vergleiche dich nicht mit anderen, die alle vermeintlich schneller/höher/schöner/weiter sind.

Das Thema Workshops hat eigenes Kapitel in deinem Buch. Was macht dir am meisten Freude an solchen Veranstaltungen?

Das größte Geschenk am Ende eines Workshops ist es, wenn meine TeilnehmerInnen fröhlich 10 cm über dem Fußboden schweben und von einem Ohr bis zum anderen grinsend den Laden mit ihrem selbstgenähten Schatz verlassen. Ich hätte nie, nie, niemals gedacht, dass so viele Menschen von sich selbst denken, sie würden das nicht können. Sie haben einmal von irgendjemandem etwas ungeduldig erklärt bekommen, vielleicht hat ein-/e Verwandte/HandarbeitslehrerIn einen blöden Kommentar gemacht und zack, hält sich jemand für unbegabt. Das sitzt oft so tief. Und jede/r, wirklich jede/r kann mit einer Nähmaschine nähen, wenn es einmal ordentlich erklärt wird. Und dann entstehen unendliche Möglichkeiten. Diese Tür für andere zu öffnen, das liebe ich sehr.

Du bietet auch Business-Coachings an. Wie kann man sich das vorstellen?

Jede Lebenssituation, aus der heraus sich jemand selbständig macht, ist anders. Du kannst nie den einen Weg mit dem anderen vergleichen. Und so stößt jede/r auch an unterschiedliche Klippen und Fragen. Da braucht es manchmal den Blick von außen, Jemanden, der dir Mut macht und vielleicht ganz neue Möglichkeiten aufzeigt. Wir schauen uns die aktuelle Situation an und den Punkt, an den der/die Teilnehmer/-in gerne hinmöchte. Und dann überlegen wir, wie wir dahin kommen, mit den Gegebenheiten, die es eben gibt. Coachings gibt es persönlich oder per Zoom-Call, und ich finde es immer wieder so schön zu sehen, was das auslöst. Eine Teilnehmerin traute sich nicht, wirklich durchzustarten und meinte, sie hätte einfach keinen Platz für Ihr Business. Als sie nach dem Coaching mit ganz viel Energie nach Hause kam, fiel ihr eine Rumpelecke auf, die sie sofort in Angriff nahm. Ich bekam ein Foto von vielen Müllsäcken und abends eine sehr glückliche Whatsapp, daß sie sich Platz geschaffen hatte, und sie hatte schon begonnen, es sich dort schön zu machen. Und darum geht es im ganz wortwörtlichen und im übertragenen Sinn. Man muß sich manchmal den Raum schaffen. Manchmal ist es wie bei einer Klebebandrolle, bei der man versucht, den Anfang zu finden: Man kriegt das nicht richtig abgeknibbelt, aber wenn man den Anfang mal hat, dann läuft es. Im Grunde knibbeln wir bei so einem Coaching einfach das Klebeband ab. Damit es dann läuft.

Du hast ein Buch geschrieben, führst dein eigenes Stoffgeschäft, gibst Kreativ-Workshops und begleitest Menschen in die berufliche Selbständigkeit. Welche Pläne hast du für die Zukunft?

Ganz lieben Dank, dass Du das mal so schön für mich zusammengefasst hast. Wenn ich das so lese, dann mache ich ja eine ganze Menge. Im Mai geht es zuallererst mal auf einen zauberhaften Workshop mit dir und Laura. In meinem neuen Ladengeschäft bin ich ja erst seit Oktober 2021 und es ist wie eine riesengroße Spielwiese, ein Meer an Möglichkeiten. Ich fühle mich in diesen Räumen so wohl und freue mich so daran. Das Buch zu schreiben war wirklich herausfordernd, aber ich habe gemerkt, dass es möglich ist und eine weitere Buchidee habe ich bereits im Kopf. Ich habe Pläne für den Online-Shop und eine eigene kleine Produktlinie ist auch im Werden. Das möchte ich gerne ausbauen, das Herstellen von Produkten. Ich liebe es, Dinge zu entwerfen und im Geschäft soll eine kleine Manufaktur entstehen, damit wir hier bald wunderbare, handgemachte Produkte anbieten können.

Liebe Dunja, vielen Dank für das Interview. Ich freue mich sehr, dich auf unserer Landpartie persönlich kennenzulernen und bin sicher, dass es dort viele offene Ohren für deine Expertise geben wird. Alles Gute für dich und dein Nähzimmer mit Herz!

Dunja Supp: Mein Kreativ-Business: Unternehmensgründung im Kreativbereich, Haupt Verlag, ISBN: 9783258602431, 26 Euro.

Weitere Einblicke in Dunjas Arbeit gibt es auf ihrer Internetseite und bei Instagram unter @naehzimmermitherz.

© Bilder Dunja Supp

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11. April 2022

Bücher: „Fingerpüppchen häkeln & nähen“ von Jana Tröger

Als ich im Frühjahr in der Verlagsvorschau von Freies Geistesleben das Buch „Fingerpüppchen häkeln & nähen“ von Jana Tröger entdeckte, machte meinen Herz einen großen Hüpfer. Zum einen, weil es eher selten vorkommt, dass ein neues, vielversprechendes Anleitungsbuch erscheint. Zum anderen, weil das Cover so fröhlich, leicht und verspielt daherkommt und auf einem Bild alles zusammenbringt, worum es mir beim Puppenmachen geht.

Man sieht darauf ein Kind mit offenem Blick und einem vergnüglichen Lächeln im Gesicht, das auf den Fingern seiner zum Spiel ausgestreckten Hand fünf Püppchen sitzen hat. Die Zwerge Pippa und Pelle sind dabei, unverkennbar Pippi Langstrumpf mit ihrem gelben Kleid und den roten Zöpfen sowie zwei weitere Charaktere, die mit nur einem Fingerknick zum Leben erweckt werden können. So einfach ist es, miteinander ins Spielen zu kommen. Und genauso einfach ist es im Grunde auch, diese Püppchen herzustellen.

Die Autorin Jana Tröger ist eine Meisterin ihres Fachs und macht mit dem liebevoll gestalteten Buch große Lust, eine kunterbunte Fingerpuppenwelt entstehen zu lassen. Dafür braucht es keine supertoll ausgestattete Werkstatt, sondern nur ein paar Basics wie Handarbeitsutensilien, Schafwolle und Puppentrikot und einen kleinen Schatz aus Stoffen und Garnen, Reste sind hier willkommen.

Das Buch enthält nicht nur genaue Text- und Bildanleitungen, Schnittmuster und Beispiele, sondern auch theoretisches Futter zur pädagogischen Bedeutung und den Möglichkeiten dieser kleinen Püppchen, Anregungen für Fingerpuppenspiele, Aufbewahrung und Dekoration sowie Reinigung und Reparatur.

Vorkenntnisse braucht es keine, auch nicht besonders viel Geschick oder Kunstfertigkeit. Denn eines macht dieses Buch ganz deutlich und deshalb berührt es mich auch so sehr: Beim Puppenmachen geht es nicht um das perfekte Ergebnis, sondern darum, aus dem Herzen für unsere Kinder, unsere Mitmenschen zu kreieren und Erfahrungen von Verbundenheit zu ermöglichen. Dafür sind diese kleinen, schlicht-und-einfachen Püppchen wunderbar geeignet. Mein Liebling ist übrigens der Marienkäfer Mary von Seite 84, der mein Erstlingswerk werden wird.

Nach ihren Lieblingen habe ich auch die Autorin gefragt. Hier ein kleines Interview, in dem ihr mehr über sie und ihr Schaffen erfahrt:

Was ist dein Hintergrund als Puppenmacherin? Wie bist du zu diesem Handwerk gekommen?

Bereits als kleines Kind beobachtete ich meine Mutter, wie sie Puppen herstellte, die sie später auf dem Herbstmarkt an unserer Waldorfschule verkaufte und die immer sehr beliebt waren. So wurde mehrmals im Jahr das Wohnzimmer für ein paar Tage in einen Werkraum umgewandelt. Überall lagen Stoffe, Schafwolle, Sisaldraht und fertige und unfertige Puppen herum. Ich wuchs also mit diesem Handwerk auf und lernte dabei schon früh, Puppen selbst herzustellen.

Was schätzt du besonders am Puppenmachen?

Ich arbeite grundsätzlich gerne mit meinen Händen. Beim Puppenmachen liebe ich es ganz besonders, wie ein kleines Wesen in meinen Händen entsteht, mich am Ende anblickt und zu sagen scheint: „Hallo, hier bin ich!“ Vor einigen Jahren entwickelte ich dann für unsere Familie die ersten Fingerpuppen und blieb an dieser Arbeit hängen. Ich mag es, dass sie so schnell gemacht sind und trotzdem so facettenreich ausgearbeitet werden können. Außerdem bin ich dabei ortsunabhängig, denn ich mache sie einfach überall – auf dem Spielplatz, auf dem Sofa, im Garten oder auch mal während einer längeren Zugfahrt.

Was macht das Fingerpüppchen für dich zu einem wertvollen Spielzeug?

Fingerpüppchen haben einen hohen Aufforderungscharakter. Ich beobachte immer wieder, wie sowohl Kinder als auch Erwachsene sich das Püppchen auf den Finger setzen und losspielen. Das sind meist keine Aufführungen, vielmehr entwickelt sich ein kleines gemeinsames Spielchen mit dem Kind und so entsteht schnell eine tiefe Verbundenheit. Ich finde, es ist auch etwas Besonderes, wenn das Fingerpüppchen selbst hergestellt wurde: Zuerst wird mit den eigenen Händen aus leblosem Material die kleine Figur erarbeitet und anschließend wird sie mit den eigenen Fingern zum Leben erweckt.

Welches Püppchen aus deiner Sammlung magst du am liebsten?

Oh, da gibt es einige! Aus dem Buch ist es zum Beispiel der Sandmann oder die Pippi Langstrumpf vom Coverbild. Aber auch die einfachen Figuren ohne aufwändige Details berühren mich sehr.

Bietest du deine Fingerpüppchen eigentlich auch zum Verkauf an? Und gibst du auch Kurse?

Ja, ich habe sie auch schon verkauft, vor allem auf Waldorfmärkten. Ich hoffe und freue mich, wenn diese wieder stattfinden können. Auch einen Kurs habe ich schon gegeben und es war eine sehr spannende Erfahrung. Das würde ich auch sehr gerne wieder machen.

Wie geht es nach dem Buch für dich weiter? Welche Pläne hast du für die Zukunft?

Ich stecke immer wieder voller Ideen. Als Mutter dreier Kinder und mit Job brauchen diese Ideen jedoch ihre Zeit, bis sie ausgereift bzw. verwirklicht sind. Aber unabhängig von meinen Zukunftsplänen würde mich sehr freuen, wenn das Buch viele Menschen erreicht und gefällt und bald viele kleine Fingerpüppchen die Welt bevölkern!

Liebe Jana, vielen Dank für das Interview. Ich bin mir sicher, dass die Fingerpüppchengemeinschaft wachsen und wachsen wird. Gratulation zu diesem wunderschönen Buch und alles Gute für dich und deine Arbeit!

Jana Tröger: Fingerpüppchen häkeln & nähen, Verlag Freies Geistesleben, ISBN: 978 3 7725 3135 4, 20 Euro.

Weitere Einblicke in Janas Arbeit gibt es auf ihrer Internetseite und bei Instagram unter @unikation.de.

© Bilder Jana Tröger und Lena Strohm (Autorin mit Kind)

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2. Februar 2021

Bücher: „Das HandHeilbuch“ von Lucia Nirmala Schmidt

Seit 15 Jahren arbeite ich überwiegend im Sitzen, in einer nach vorne gebeugten Haltung, mit meinen Händen. Vor zehn Jahren brachte mir das zum ersten Mal in meinem Leben heftige Rückenschmerzen ein, die ich erst sieben Jahre später nach einigen erfolglosen ärztlichen Konsultationen und verschiedenen Therapieversuchen mit einer regelmäßigen Yogapraxis in den Griff bekam. Zwei- bis drei Mal pro Woche ging ich ins Yogastudio, wo ich es vor allem genoss, Rücken- und Bauchmuskulatur zu stärken, Schultern und Nacken zu lockern und den Herzraum zu öffnen. Was für eine Wohltat! Durch den Lockdown ist meine Yogaroutine ins Stocken geraten, denn was mir im Studio mühelos gelang – Verbindlichkeit meiner körperlichen Praxis gegenüber -, bekomme ich zu Hause beim besten Willen nicht hin. Jetzt bin ich schon froh, wenn ich es ein Mal pro Woche für 60 Minuten auf die Matte schaffe. Das bereitet mir nicht nur ein schlechtes Gewissen, sondern macht sich auch an meinem Körper bemerkbar. Ich habe wieder Schmerzen und roste zunehmend ein.

Gerade in arbeitsreichen Phasen spüre ich Verspannungen und Druck auch in den Händen und Unterarmen. Das sind Bereiche, die im Yoga eher nicht im Fokus stehen. Hier wünschte ich mir schon lange Hilfe und fand sie ganz unverhofft in einem Buch, das ausschließlich der Handgesundheit gewidmet ist. Die Autorin Lucia Nirmala Schmidt aus der Schweiz ist seit 25 Jahren als Yogalehrerin und Atemtherapeutin sowie in der Ausbildung tätig. Zu den Übungen für die Hände kam sie, weil sie selbst plötzlich und aus unerklärlichen Gründen Schmerzen in den Händen und Handgelenken bekam. Anderen Betroffenen zu helfen, indem sie ihre persönlichen Erkenntnisse und ihre Erfahrungen als Yogalehrerin teilt, ist ihr ein Herzensanliegen und das merkt man dem Buch auch an.

Zunächst werden kurz und verständlich die anatomischen Zusammenhänge erklärt. So ist Schmidts Erfahrung nach ein verklebtes, verspanntes Bindegewebe (die sogenannten Faszien) an Unterarmen, Händen und Handgelenken die häufigste Ursache von Handbeschwerden. Bei Missempfindungen und Schmerzen in den Händen und Unterarmen würden jedoch oft fälschlicherweise Arthrose, rheumatoide Arthritis, Karpaltunnelsyndrom oder Sehnenscheidenentzündung diagnostiziert, obwohl Triggerpunkte und das Myofasziale Schmerzsyndrom die wahre Ursache seien. Für die Heilung brauche es eine gezielte Einwirkung auf die Faszien, bei der das verklebte Muskelbindegewebe gelöst wird, damit es sich neu ausrichten kann und weniger Schmerzen verursacht.

Dafür stellt sie in einem umfangreichen Praxisteil verschiedene einfache Übungsprogramme vor, in denen geschüttelt und geschwungen wird, geklopft und gezupft, gekräftigt und gedehnt. Außerdem werden Myofascial Tools wie Cups, Bälle, Faszien-Massagerolle oder Finger-Massagering vorgestellt, mit denen Triggerpunkte massiert, entspannt und gelöst werden können. Durch diese Maßnahmen werden die Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützt, indem die Verklebungen der verschiedenen Gewebeschichten gelöst werden und die Neuausrichtung der kollagenen Fasern gefördert wird, was zu mehr Bewegungsfreiheit und Leichtigkeit führt und Schmerzen reduzieren kann.

Der letzte Teil gibt darüber hinaus hilfreiche Tipps für den Alltag und was man im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes noch tun kann, wie Yoga, ergänzende Komplementärtherapien (z. B. Rolfing, Triggerpunkt-Behandlung, Akkupunkturmassage), Teemischungen aus Heilpflanzen, entzündungshemmende Kräutermedizin, Nahrungsergänzungsmittel, Stärkung der Residenz und Gesundheitsressourcen, Reduktion von Elektrosmog und die Pflege von gesunden Gewohnheiten insbesondere in Schlaf und Ernährung.

Ich freue mich sehr über dieses Buch und bin mir sicher, es wird ein jahrelanger nützlicher Begleiter für die Gesundheit meiner zwei wichtigsten und liebsten Werkzeuge im Leben. Neben einzelnen Übungen für Hände und Unterarme habe ich vor allem die Handmassage in mein tägliches kleines Wohlfühlprogramm integriert, das zwar gerade an den meisten Tagen kaum mehr als ein bewusstes Eincremen mit meiner Lieblingshandcreme beinhaltet, aber immerhin.

Lucia Nirmala Schmidt: Das HandHeilbuch. Einfache Übungen, um Beschwerden zu lindern, die Hände zu kräftigen und die Beweglichkeit zu erhalten, Knaur Verlag, ISBN: 978 3 426 65855 0, 12,99 Euro.

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13. Oktober 2020

Bücher: „Herzfaden“ von Thomas Hettche

Herzfaden. Als ich den Titel das erste Mal sah, wollte ich das Buch sofort lesen, so ansprechend fand ich ihn. Da wusste ich noch nicht einmal, dass es sich um einen Roman über die Augsburger Puppenkiste handelt. Und über die wusste ich herzlich wenig, wohl weil ich auf der anderen Seite des Landes aufgewachsen war. Dabei ist die Augsburger Puppenkiste, seit Jim Knopf 1953 auf den Fernsehbildschirmen erschien, auch ein Stück deutsche Geschichte. Dass das Buch auf der Shortlist für den diesjährigen Deutschen Buchpreis stand, machte mich einmal mehr neugierig.

Geschrieben wurde „Herzfaden“ von Thomas Hettche und laut Kiepenheuer&Witsch, dem veröffentlichenden Verlag, ist es „ein großer Roman über ein kleines Theater“.

Ein zwölfjähriges Mädchen gerät nach einer Vorstellung der Augsburger Puppenkiste durch eine verborgene Tür auf einen Dachboden, wo Prinzessin Li Si, der klappernde Tod, Kater Mikesch und ein sprechender Storch auf es warten. Vor allem aber trifft es auf jene Frau, die all diese Marionetten geschnitzt hat und nun ihre Geschichte erzählt. Es ist die Geschichte eines einmaligen Theaters und der Familie, die es gegründet und berühmt gemacht hat.

Sie beginnt im Zweiten Weltkrieg, als Walter Oehmichen, ein Schauspieler des Augsburger Stadttheaters, für seine kleinen Töchter eine Marionettenbühne baut. Die ersten Figuren fertigt er an der Front an, wo er neben all dem Leid und Schrecken auch die heilsame Kraft des Puppenspiels erfährt: „Es war ganz anders als im richtigen Theater. Ich hatte die Puppen aus allem zusammengebaut, was sich eben finden ließ, klapprige Dinger waren das, ganz unansehnlich, mit ein paar Stofffetzen behangen. Und doch waren sie lebendig. Und meine Kameraden, alles harte Kerle, die grauenvolle Dinge erlebt hatten, wurden plötzlich wieder zu Kindern. Es kam mir so vor, als wäre mir das als Schauspieler auf der Bühne niemals so gut gelungen.“

Über seine Erfahrungen im Krieg spricht er nicht, aber seine Vision ist geboren. Er will sich um die kriegsversehrten Seelen der Kinder und Erwachsenen kümmern, indem er Theater mit Puppen macht, die mit Hilfe von Fäden bewegt werden. Der wichtigste Faden dabei, so lehrt er seine Töchter, sei der Herzfaden: „Nicht sie wird mit ihm geführt, sondern mit ihm führt sie uns. Der Herzfaden einer Marionette macht uns glauben, sie sei lebendig, denn er ist am Herzen der Zuschauer festgemacht.“

Walter und seine Familie bauen zuerst eine erste kleine Bühne auf, den „Puppenschrein“, der in der Bombennacht, die 1944 Augsburg zerstört, zu Schutt und Asche verbrennt. Nach dem Krieg ist es vor allem seine jüngere Tochter Hannelore, genannt Hatü, die das Puppentheater wieder auferstehen lässt und all die bekannten Marionetten schnitzt. So wird der ehemalige Puppenschrein 1948 als „Augsburger Puppenkiste“ wiedereröffnet und die klassischen Märchen, die zunächst auf die Bühne gebracht werden, berühren die Menschen von Anfang an. Der endgültige Durchbruch gelingt 1951 mit „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry, einem zeitgenössischen Stück, das mehr mit der Gegenwart des jungen Ensembles um Hatü zu tun hat.

Zwei Jahre später ist es wieder ein moderner Autor, Michael Ende, der den Stoff für die nächste Erfolgsgeschichte liefert, und am 21. Januar 1953, zwanzig Tage nach der ersten offiziellen Ausstrahlung des deutschen Fernsehens geht die Augsburger Puppenkiste mit „Jim Knopf“ auf Sendung.

Michael Ende ist es auch, der am Ende des Buches formuliert, warum wir Bücher, Geschichten und – ja – auch Puppen brauchen: „Wissen Sie: In jedem Menschen lebt ein Kind, ob wir neun Jahre alt sind oder neunzig. Und dieses Kind, das so verletzlich und ausgeliefert ist, das leidet und nach Trost verlangt und hofft, dieses Kind in uns bedeutet bis zu unserem letzten Lebenstag unsere Zukunft.“

Heute ist die Welt noch immer kein friedlicher Ort, die Seelen der Menschen sind nach wie vor geschunden. Was kann Puppentheater da schon bewirken?

Vielleicht kann es uns spüren lassen, dass wir diesen unverwundbaren Kern in uns haben, der an das Gute glaubt, das Gute will und zur Liebe strebt. Es mag nur ein dünner Faden sein. Aber er hält.

Thomas Hettche: Herzfaden. Roman der Augsburger Puppenkiste, Kiepenheuer&Witsch, ISBN: 978 3 462 05256 5, 24 Euro.

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25. August 2020

Bücher: „Aus und davon“ von Anna Katharina Hahn

„Der Pfannkuchen klebt an der Decke,“ so beginnt der erste Satz in „Aus und davon“ von Anna Katharina Hahn. Und so beginnt auch eine Rezension des Buches, die am 7. Juni im Tagesspiegel erschien, eine sehr gute (und gut geschriebene) Rezension, ohne die ich wohl nicht auf den Roman aufmerksam geworden wäre.

Es war aber nicht nur der fulminante Pfannkuchen-Beginn, der mich neugierig machte, sondern auch die kurze Erwähnung einer zweiten, fantastischen Ebene neben den realen Ereignissen, die aus der Sicht einer unscheinbaren, mit Linsen gefüllten Puppe erzählt wird, dem „Linsenmeier“, die denkt und fühlt wie ein Mensch.

Der Roman ist eine Familiengeschichte, die über vier Generationen reicht und mit einer völlig überforderten Elisabeth beginnt, die ihrer Tochter Cornelia einen Gefallen tun möchte, indem sie deren Kinder Bruno und Stella hütet, während diese sich auf Spurensuche in die USA begibt, um mehr über ihre Großmutter Gertrud (Elisabeths Mutter), genannt Trudele, herauszufinden, die in der Weltwirtschaftskrise Deutschland verlassen hatte, um bei entfernten Verwanden in Meadville, Pennsylvania als Hausmädchen zu arbeiten und Geld in die Heimat zu schicken. Beide Frauen, Elisabeth und Cornelia, haben eine kürzlich gescheiterte Ehe hinter sich, Bruno wird von seinen Mitschülern gemobbt und Stella befindet sich in den Verwirrungen der Teenagerzeit. Es geht um Trennung und Flucht, Alleinsein und Miteinander, Brüche und Aufbrüche. Was bedeutet Familie im 21. Jahrhundert und wie fängt man wieder neu an, wenn alles anders ist?

Der Linsenmeier kennt das Leben, das Glück und die Nöte dieser Familie sehr gut, seit Jahrzehnten begleitet er sie, war schon mit Trudele auf dem Schiff nach Amerika, tröstete sie in der Fremde, kehrte mit ihr nach Deutschland zurück, war der kleinen Elisabeth im strengen, tiefgläubigen Elternhaus ein liebevoller Gefährte und taucht viele Jahre später bei Bruno wieder auf, als dieser einen Freund braucht.

Die Puppe erzählt die Familiengeschichte, vor allem Trudeles Geschichte, die so prägend für die nachfolgenden Generationen war, aus ihrer ganz eigenen Perspektive. Sie verbindet die Familie über ein Jahrhundert, indem sie still beobachtet, mitfühlt und schlicht und einfach für die Menschen da ist: „Der Linsenmeier wusste kaum wie ihm geschah, so viele Tränen und so viel Nasenwasser flossen über ihn. Obwohl er Trudele nicht helfen konnte, war er doch glücklich, denn jetzt wurde er gebraucht.“

Am Ende mochte ich das Buch natürlich wegen der Puppe, aber auch weil die Autorin so lebendig und einfallsreich erzählt, dass es einem leicht ums Herz wird, egal wie schwer man manchmal an der eigenen Familie zu schlucken hat. Denn die haben wir wohl alle, eine Herkunftsgeschichte voller Geheimnisse, Verwerfungen und Verletzungen, aber auch Hoffnung und unendlich viel Liebe.

Anna Katharina Hahn: Aus und davon, Suhrkamp Verlag, ISBN: 978 3 518 42919 8, 24 Euro.

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