10. Dezember 2024

Meine Geschichte für die Echte-Puppen-Podcast-Schreibaktion (die nicht rechtzeitig zur Aufnahme fertig war und deshalb hier veröffentlich wird)

Ich bin Puppenmacherin und bin es drei bis vier Wochen im Jahr nicht. Dann bin ich in den Ferien, in den Bergen und bin einfach nur, ohne Puppen, ohne dass meine Hände nähen, stopfen, sticken, machen, ohne Mariengold. Zumindest glaubte ich das bis diesen Sommer, als mich die Arbeit eines Morgens buchstäblich ansprach. Aber der Reihe nach.

Diese Schreibaktion war meine Idee. Eigentlich war es Laura mit dem Gedanken, doch mal die Puppen sprechen zu lassen. Geschichten aus Perspektive der Puppen erzählen, wäre das nicht etwas für den Podcast? Ich spann es weiter und überlegte mir drei Schreibimpulse, aus denen die Echte-Puppen-Podcast-Schreibaktion wurde, zu der wir im Juli offiziell einluden. Mit den Beiträgen wollten wir unsere Community-Folge im Dezember füllen. Und natürlich würden wir auch mitmachen, denn wir sind beide leidenschaftliche Schreibende.

Wenige Tage nachdem Laura und ich damit rausgegangen waren, machten mein Mann und ich uns auf in die Berge. Wer mir schon länger hier folgt, weiß, dass wir seit 14 Jahren den Sommer auf einem Maiensäss in der Südschweiz verbringen. Wir lieben diesen Ort sehr und er ist mittlerweile eine zweite Heimat für uns geworden. Diese Ferien in den Bergen mit den Ziegen und dem einfachen Leben in der Natur sind so sehr Teil von mir geworden, dass ich regelmäßig von Blogleserinnen, Followerinnen und Kursteilnehmerinnen gefragt werde, wo denn dieser Zauberort genau läge und ob man da Urlaub machen könne. Aus verschiedenen Gründen haben mein Mann und ich entschieden, dass wir ihn für uns behalten. Nur zwei Mal habe ich eine Ausnahme gemacht (bitte merken, dieses Detail wird noch wichtig). Ein Grund, warum wir die genauen Koordinaten nicht herausgeben wollen, ist, dass ich in meinen Ferien privat bleiben und vermeiden möchte, dass mir dort Menschen begegnen, die mich über die Arbeit kennen. Denn ich möchte in dieser Zeit einfach nur Maria sein und nicht die Puppenmacherin von Mariengold. Und das verstehen die meisten auch. Dass diese feinsäuberliche Trennung von Privatem und Beruflichem aber nicht wirklich aufgeht, wurde mir in diesem 14. Bergsommer klar. Aber weiter der Reihe nach.

Mein Mann und ich waren also in den Bergen angekommen und dieses Jahr mit in meinem Gepäck: die Schreibaktion. Ich hatte mich bereits für einen Schreibimpuls entschieden und den ersten Satz im Kopf, nämlich genau den, mit dem diese Geschichte hier beginnt. Nur hat sie sich dann doch anders entwickelt, als ich dachte. Ich wollte nämlich eigentlich darüber schreiben, dass ich vier Wochen im Jahr keine Puppenmacherin bin und wie sehr ich das genieße. Genau darüber dachte ich eines Morgens auf dem Weg zum Brunnen nach, wo wir immer unsere Lebensmittel kühlen. Es war ein herrlicher Tag, blauer Himmel, Sonnenschein, noch angenehm frisch und ich trug meine geliebten roten Ballerinas, die schon abgewetzt waren und die ich nur dort oben trug. Ich beugte mich gerade herunter, um Butter, Milch und Joghurt für das Frühstück aus unserer Kühlbox zu nehmen, da hörte ich hinter mir eine Stimme fragen: „Maria?“ Ich kam hoch, drehte mich um und erblickte eine Frau in meinem Alter, blondes Haar, freundliches Gesicht. „Ich bin Anna, ich war vor zehn Jahren bei dir im Kurs und jetzt bin ich endlich hier.“ In dem Moment ging mir alles Mögliche durch den Kopf, vor allem: Das geschieht gerade wirklich. Es stellte sich heraus, dass Anna eine von den zwei Frauen war, denen ich vor Jahren unser kleines Geheimnis verraten hatte. Wahrscheinlich ahnte sie meine gemischten Gefühle, hatte vielleicht selbst auch welche und ich rechnete ihr hoch an, wie feinfühlig sie während unserer gemeinsamen Zeit mit der Situation umging. In dieser Geschichte soll es aber nicht um Anna gehen, wie wir uns langsam annäherten und eine gute Zeit miteinander verbrachten, sondern was dieses Erlebnis mit meinem gut gepflegten Glaubenssatz machte, dass ich hier oben auf dem Berg nur einfach Maria war. Denn stimmte das eigentlich? Was sollte das überhaupt bedeuten? Und warum war mir das so wichtig? Das beschäftigte mich in den nächsten Tagen und ich dachte an:

JP, der mich jedes Jahr mit „Ah, die Puppenmarie aus Berlin“ begrüßte (schweizerdeutschen Dialekt dazu denken).

E, die eine Leidenschaft für textiles Handwerk hat und mir einmal eine afrikanische Puppe aus ihrer Sammlung schenkte.

Das Seminarhaus auf der Nachbaralp, an dessen Eingang eine Stabpuppe hängt, der ich jedes Jahr einen Besuch abstattete wie einer alten Freundin.

Die Kinder und Enkelkinder, die in den letzten zehn Jahren dazugekommen waren und dass sie alle eine Puppe von mir bekommen haben.

G, der mich seiner Tochter stets mit dem Zusatz vorstellte, dass ich ihre Puppe gemacht hatte (sie ist dann immer so voller Ehrfurcht, dass sie noch nie ein Wort mit mir gewechselt hat).

Die nächtlichen Gespräche am warmen Dorfbackofen, in denen ich von meiner Arbeit im fernen Berlin erzählte (natürlich nur auf Nachfrage, ihr könnt es euch denken).

Die vielen Wanderungen, auf den ich neue Ideen für Mariengold im Kopf und im Herzen bewegte.

Dass es letztlich eine Puppe war, die uns überhaupt an diesen wunderbaren Ort geführt hatte (aber das ist eine andere Geschichte).

Ich musste mir eingestehen, dass ich mir etwas vorgemacht hatte. Dass es keine Trennung zwischen Puppenmacherin-Maria und Berg-Maria gab. Dass ich hier nicht rein privat unterwegs war und die Arbeit zu Hause gelassen hatte. Ich war hier als ganzer Mensch, mit all meinen Facetten, und musste das Berufliche nicht verstecken oder verleugnen, um zu entdecken, wer ich bin, wenn ich nicht arbeitete. Denn Puppenmachen, mein künstlerisches Schaffen ist ein ganz wesentlicher Bestandteil von mir. Es fließt immer in und aus allen Richtungen. Und dieser Ort in den Bergen war offensichtlich Teil meiner Bestimmung. Hier sammelte ich jeden Sommer neue Kräfte, erdete mich, verband mich mit der Natur, war Teil einer Gemeinschaft, empfang Ideen und Inspiration, hinterließ selbst Spuren. Es war allein meine Entscheidung, wie sehr ich mein Licht leuchten ließ oder dämpfte. In diesem Sommer – und das verdankte ich der Begegnung mit Anna – beschloss ich, dass ich mich, wann immer ich mich sicher und wohl damit fühlte, nicht mehr zurückhalten, sondern ganz und gar zeigen und einbringen wollte, hier und überall.

Als wir Ende August unsere Abschiedsrunde durch das Dorf drehten (bei der mir immer das Herz schwer ist), rief mir T, der ich erst diesen Sommer erzählt hatte, was ich beruflich machte, hinterher: „Maria, was kostet eine Puppe?“ Da wusste ich, dass ich ihr nächstes Jahr eine Puppe mitbringen würde und dass sie wie T aussehen sollte: mit langem, grauem Haar, einem lila Kleid, die Farbe von der Sonne verblasst, einer goldenen Kette und verschmitztem Blick. Und ich würde sie ihr schenken. So wie dieser Ort mit seinen Menschen ein unschätzbares Geschenk für mich war.

in: Einblicke und Ausblicke, Podcast