Wenn ich Elena Ferrante eine Frage stellen könnte, wäre es die nach den Puppen. Die spielen nämlich in allen Büchern, die ich bisher von ihr gelesen habe, eine wichtige Rolle. In der Neapel-Tetralogie, in der es um die Freundschaft von Lila und Elena geht, bilden die Puppen ihrer Kindheit den Rahmen der Handlung, der mehrere Jahrzehnte umspannt. Zu Beginn des ersten Teils „Meine geniale Freundin“ verlieren die beiden ihre Puppen oder stoßen sie vielmehr von sich weg hinab in den dunklen Keller von Don Achille und es folgt eine Mutprobe, die zwar ihre Freundschaft besiegelt, die Puppen aber bleiben verschwunden. In den folgenden drei Teilen wird immer wieder Bezug auf diese Episode genommen, schließlich tauchen die Puppen ganz am Ende der Geschichte wieder auf, aber es bleibt ein Rätsel, wo sie all die Jahre waren. In „Der Strand bei Nacht“, Elena Ferrantes erstem Kinderbuch, das letztes Jahr erschien und das ich hier ausführlich besprochen habe, gibt es einen Wechsel der Perspektive und es stehen die Erlebnisse und das Empfinden einer Puppe im Mittelpunkt, die allein am Strand zurückgelassen wird, vergessen von ihrem Kind. Es geht dabei auch um etwas, das die Autorin selbst sehr, sehr gut beherrscht, nämlich die Kraft und das Wunder der Sprache.
Bereits einige Jahre vor der Neapel-Tetralogie war „Frau im Dunkeln“ erschienen, ein frühes Werk der Autorin, das nach ihrem großen Erfolg dieses Jahr noch einmal in neuer Übersetzung in Deutschland aufgelegt wurde. Es handelt von Leda – knapp fünfzig, allein lebend, Mutter zweier erwachsener Töchter, Universitätsprofessorin in Florenz -, die einen Sommerurlaub an der süditalienischen Küste verbringt, der erste seit dem Auszug der Kinder. Die Zeit am Strand vertreibt sie sich damit, eine junge Frau und deren kleines Mädchen zu beobachten, die innig vor sich hin spielen:
„Bei anderer Gelegenheit beobachtete ich, wie sie gemeinsam mit der Puppe spielten. Es machte ihnen großen Spaß, sie zogen sie an und aus, schmierten sie im Spiel mit Sonnenmilch ein, badeten sie in einem grünen Eimer, rubbelten sie anschließend trocken, damit ihr nicht kalt wurde, drückten sie an ihre Brust, wie um sie zu stillen, fütterten sie mit Brei aus Sand oder legten sie zwischen sich auf das Handtuch in die Sonne. Die junge Frau war schön, doch erst ihr Muttersein machte sie zu etwas Besonderem, sie schien nur ihre Tochter im Sinn zu haben.“
Und an anderer Stelle heißt es:
„Sie (die Puppe, Anmerkung von mir) bewahrte die Liebe zwischen Nina und Elena auf, das Band ihrer Zuneigung, die Leidenschaft, die sie füreinander empfanden. Sie war der strahlende Beweis eines glücklichen Mutterdaseins.“
Zunächst ist Leda wohlwollend und fasziniert, denn Nina und Elena erinnern sie an ihre eigene Vergangenheit als junge Mutter. Sie verliert sich immer mehr in ihren Erinnerungen, nicht nur an Schönes, sondern auch an alles Schwierige, Herausfordernde, Überfordernde und sie erkennt, dass sie ihren Töchtern vermutlich keine liebevolle Mutter war. So schlägt die anfängliche Sympathie allmählich in Wut und Neid um und sie lässt sich zu einer verstörenden Tat hinreißen, die besonders dem kleinen Mädchen sehr zusetzt.
In dieser Geschichte geht es vor allem um die Frage, was es bedeutet, eine Frau und Mutter zu sein und dabei eigene Wege gehen zu wollen. Es geht um all die widersprüchlichen Gefühle, die Frauen, Mütter sich selbst kaum eingestehen wollen, weil sie eigentlich unsagbar und unerhört sind. Diese Schonungslosigkeit, die tiefe Emotionalität und natürlich die einzigartige Erzählkunst von Elena Ferrante machen das Buch zu einer äußerst spannenden und eindringlichen Lektüre, die lange in mir nachwirkte. Dass dabei auch eine Puppe eine tragende Rolle spielt, hat mich besonders berührt hat.
Antwort auf meine eingangs gestellte Frage, welche Bedeutung Puppen für die Autorin persönlich haben, erhoffe ich mir von ihrem neusten Buch „Frantumaglia: Mein geschriebenes Leben“, einem Selbstporträt, das ich mir für den Sommer aufhebe und das dann vielleicht auch hier besprochen werden wird.
Elena Ferrante: Frau im Dunkeln, Suhrkamp Verlag, ISBN: 3518428705, 22 Euro.
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