Heute wird meine Tochter 18 Jahre alt. Es ist gewissermaßen auch mein 18. Geburtstag, als Mutter, aber auch als Puppenmacherin. Denn ohne mein Kind wäre ich keine Puppenmacherin geworden.
Als ich schwanger wurde, war ich noch im Studium und hatte andere vage Pläne für meinen beruflichen Weg. Ich studierte gerade im achten Semester Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Dort war ich gelandet, weil mir zur Verwirklichung meines eigentliches Wunsches, nämlich Kunsttherapeutin zu werden, der Mut und das Vertrauen fehlten. Ich hatte ein supergutes Abitur, mit dem ich alles hätte machen können, träumte aber, ohne dass ich es je laut vor meinen Eltern, Freund*innen oder mir selbst ausgesprochen hätte, von einer künstlerischen Ausbildung. Jedoch glaubte ich nicht an mich selbst und räumte mir nicht den Hauch einer Chance ein, je die künstlerische Eignung für ein solches Studium nachweisen zu können. Deshalb versuchte ich es gar nicht erst. Dafür fand ich diesen Studiengang mit der langen Bezeichnung, unter dem ich mir eigentlich nichts vorstellen konnte, aber immerhin war er an einer Kunsthochschule angesiedelt und mit meinem Notendurchschnitt brauchte ich mich quasi nur einzuschreiben. Ich wusste vom ersten Semester an, dass ich hier eigentlich nicht richtig war, aber ich zog es durch, machte Praktika in verschiedenen Agenturen, schrieb Hausarbeiten und Klausuren und legte Prüfungen ab, die letzten schwanger mit meiner Tochter, da war ich 23.
Heute weiß ich, dass mir die relativ frühe, ungeplante Mutterschaft vor allem die Möglichkeit eröffnete, mich noch einmal vollkommen neu auszurichten. Ich freute mich auf mein Kind und ehrlicherweise auch, dass dadurch erst einmal die Pausetaste in meiner beruflichen Entwicklung gedrückt wurde. In den folgenden zwei Jahren lernte ich mit meinem Partner und unserer Tochter das Leben noch einmal neu kennen und entdeckte auch mich selbst komplett neu. Vor allem lernte ich die Liebe kennen und was aus Liebe entstehen kann. Gleichzeitig waren es schwierige Jahre, denn wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten und in dieser Hinsicht hatte ich viel zu durchleuchten und zu verarbeiten.
In dieser Zeit kamen auch die Puppen in mein Leben. Genau erinnern kann ich mich nicht und es war auch nicht so, dass ich nicht vorher schon Puppen kannte, aber mit den Stoffpuppen nach Waldorfart war es Liebe auf den ersten Blick. Ihre Magie berührte mich zutiefst im Herzen und das ist bis heute so geblieben. Meine allererste selbstgemachte Puppe war natürlich für meine Tochter und sie ist mir nach all den Jahren noch immer die liebste, die ich nie vergessen werde. Es folgten hunderte, tausende Puppen, die ich für den Verkauf anfertigte, der Aufbau eines Shops mit Anleitungen und Materialpackungen zum Selbermachen, ein vielgelesener Blog, auf dem zu Hochzeiten bis zu vier Beiträge pro Woche erschienen, die Kursarbeit mit zahlreichen Veranstaltungen in Berlin und anderswo inklusive der Landpartie für Puppennähverliebte zusammen mit meiner Freundin Laura von 1000 Rehe, Community-Events wie die PuppenMITmacherei mit Caro von NATURKINDER oder Puppen&Packen, nach langem Zögern der Einstieg bei Instagram und zuletzt der Podcast „Echte Puppen“ ebenfalls zusammen mit Laura.
Erst kürzlich wurde ich gefragt, ob ich mit Mariengold mein Hobby zum Beruf gemacht hätte. Nein, ganz klar nicht. Puppen waren nie mein Hobby und schon die zweite, die ich nach der für meine Tochter angefertigt hatte, verkaufte ich ganz offiziell. Bei aller Liebe habe ich mir das Puppenmachen ganz bewusst als Erwerbsarbeit ausgesucht. Ich wollte selbständig sein, etwas mit meinen Händen machen und ein Produkt herstellen, für das es theoretisch immer eine Nachfrage gibt. Das war eine mindestens ebenso rationale wie emotionale Entscheidung. Wohlgemerkt war ich damals Mitte 20 und noch grün genug hinter den Ohren, um es einfach auszuprobieren. Dass es gelang, lag sicher auch an meinem Studium. Ich war ja Kommunikationswirtin und kannte mich aus mit Marketingkommunikation, wusste, wie man eine Verbindung zu seinen Kund*innen aufbaut. So söhnte ich mich schließlich auch mit meiner akademischen Ausbildung aus.
Der Gedanke an die Kunsttherapie aber blieb. Vor allem in meinen Kursen spürte ich die heilsame Kraft des Puppenmachens und erlebte immer wieder, wie gut es den Menschen tut. Das ist für mich der Teil meiner Arbeit, der mir am meisten bedeutet und warum ich immer noch mit Leidenschaft dabei bin und diese Tätigkeit für wichtig und zutiefst sinnvoll, aber auch hochinteressant und unglaublich vielseitig halte. In all den Jahren gab es natürlich viele Höhen und Tiefen und ich hatte zwei, drei ernsthafte Krisen, zuletzt bedingt durch die Coronapandemie, in denen ich ein Weitermachen in Frage stellte. Ehrlich gesagt hatte ich sogar lange die Vorstellung, dass ich nur so lange Puppen machen würde, wie meine Tochter ein Kind ist, quasi als dauerhafte Übergangslösung, bis – ja, bis was eigentlich?
Heute an ihrem 18. Geburtstag ist ihre Kindheit formell vorbei und ich bin immer noch Puppenmacherin. Einerseits blicke ich stolz und erfüllt auf das, was ich mir aufgebaut habe und wo ich jetzt stehe, nicht nur mit meiner Arbeit, sondern als ganzer Mensch. Andererseits sehe ich auch, was in den letzten Jahren auf der Strecke geblieben ist, wo ich es mir vielleicht zu leicht gemacht habe und ein bisschen bequem war, aber auch wo ich mich selbst kleingehalten und mir meine Träume nicht erlaubt habe. Bittersüß fühlt sich das an.
Jetzt bin ich 41, habe eine volljährige Tochter, die demnächst das Nest verlassen wird, und stehe definitiv am Beginn einer neuen Lebensphase. Ich bin von ganzem Herzen Puppenmacherin und hoffe trotzdem, dass es das noch nicht gewesen ist. Ich liebe meine Arbeit und zweifle trotzdem regelmäßig an dem, was ich mache. Ich bin glücklich mit dem, was ist, und wünsche mir trotzdem manchmal brennend etwas Neues. Das ist wahrscheinlich ganz normal und nicht zu wissen, wie diese, meine Geschichte weitergeht, durchströmt mich mit Freude, Dankbarkeit und Liebe für die Geheimnisse des Lebens.