13. Mai 2019

Gleichmutig

Es ist Mitte Mai und wie jedes Jahr um diese Zeit befindet sich Mariengold in einem Tief. Das heißt, ich habe kaum Aufträge für Puppen und nur wenige Bestellungen in meinem Shop. Woran genau das liegt, weiß ich nicht, aber ich kenne das schon aus den letzten Jahren, in denen Frühling und Frühsommer auch immer relativ umsatzschwach waren. Weil ich dazu neige, mir so etwas zu Herzen zu nehmen, arbeite ich seit zwei, drei Jahren bewusst daran, eine Gelassenheit zu entwickeln, die in Zeiten wie diesen trägt.

Solche Schwankungen sind ganz normal, das wissen alle, die selbständig arbeiten. Mal läuft es gut, mal nicht. Mal fließt es kräftig und beständig, mal tröpfelt es nur vor sich hin. Phasen der Intensität und der Ruhe wechseln sich immer ab, das ist der natürliche Lauf der Dinge. Auch wenn es schwer zu glauben ist, wenn man mittendrin steckt: Alles, auch das, geschieht für uns, nicht gegen uns. Die Energie immer auf dem höchsten Punkt halten zu wollen, baut nur Druck auf, kostet Kraft und macht es einem unnötig schwer. Das Gleiche gilt für Kontrolle. Es lässt sich viel gestalten, aber nicht durch Festhalten an starren Vorstellungen, sondern durch Loslassen und indem man sich dem Strom des Lebens anvertraut und mit sich selbst in Verbindung bleibt. Sorgen zerknittern nur das Herz und die Stirn.

Damit ich nicht in eine negative Gedankenspirale hineinkomme, sorge ich vor. Was mir am meisten hilft, ist, dass ich schon seit einigen Jahren jeden Monat Geld für solche Zeiten zurücklege. So bin ich grundversorgt und kann die wichtigsten Ausgaben zahlen. Das tut schon einmal sehr gut und hält den Kopf frei. Das Zweite ist eine positive Einstellung. Ich richte meinen Fokus darauf, diese Zeit, in der ich viel weniger zu tun habe als sonst, so angenehm und erfüllend wie möglich zu gestalten. Da fallen mir viele schöne und nützliche Dinge ein: zuerst einmal ausruhen und regenerieren, denn so ein Tief kommt meist nach einer sehr arbeitsreichen Phase, also Körper und Seele Gutes tun, auch dem Geist, indem ich mich weiterbilde, lese, Ausstellungen besuche, natürlich auch in die Natur gehen, ausgedehnte Spaziergänge machen und unbekannte Ecken meiner Stadt erkunden, den Wechsel der Jahreszeiten wahrnehmen, Menschen treffen, die Wohnung blitzeblank putzen, endlich diese Kimono-Jacke nähen, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht, und so weiter.

Es lässt sich unter diesen Umständen aber auch sehr gut arbeiten, zwar mit dem Wermutstropfen, dass diese Arbeit nicht direkt bezahlt wird, aber dafür bringt sie viel Freude und Lust an der Gestaltung, denn sie ist eine Investition in die Zukunft. Neben dem laufenden Geschäft (Puppen nähen, Kurse vorbereiten, Materialpakete schnüren, E-Books verschicken etc.) habe ich immer auch besondere Vorhaben auf dem Zettel, für die mir oft Zeit und Muße fehlen. Diese lassen sich jetzt gut auf den Weg bringen mit dem erstaunlichen Nebeneffekt, dass die positive Energie, die mit der Umsetzung von Herzensprojekten verbunden ist, den Erfolg wieder anzieht. Beschäftigungen, die Freude machen, sind jetzt wohltuend, die aufbauen, erheben und inspirieren.

Klingt leicht und gut machbar? Das ist es auch, wenn man vorher etwas Wichtiges mit sich selbst geklärt hat und zwar den eigenen Wert und in welcher Beziehung dieser zu Arbeit und Erfolgsparametern wie Geld, Ansehen, Likes und Follower steht. Denn natürlich lässt sich so eine Zeit nur dann frei gestalten, konstruktiv nutzen und auch genießen, wenn man in seinem Selbstwertgefühl nicht vollkommen abhängig ist von der Bestätigung von außen, sondern ihn auch (und immer mehr) in sich drinnen findet, was sicher für die meisten eine Lebensaufgabe ist, auch für mich. Je mehr mir das gelingt, desto mehr kann ich von Erwartungen loslassen und Vertrauen aufbauen, dass alles gut ist, wie es ist. Nichts bleibt jemals, wie es war, das Leben ist immer in Wandlung und meint es dabei immer gut mit uns. Sich stark und flexibel zu machen für diesen Weg, von dem wir niemals wissen, wie er verlaufen wird, ist etwas sehr Wichtiges und Gutes, das wir für uns selbst tun können.

Damit in Frieden zu kommen, war ein Prozess von mehreren Jahren für mich, an dessen Beginn die bewusste Entscheidung stand, nicht länger unter diesen Aufs und Abs leiden zu wollen. Heute bin ich froh, mir diesen Spielraum erobert zu haben und berücksichtige diese Phasen auch in meiner Jahresplanung. Gerade erfreue ich mich daran, in Ruhe die kommende Landpartie für Puppennähverliebte vorzubereiten, viel zu schreiben, ausführlich über eine Idee nachzudenken, die vielleicht mein nächstes großes Projekt wird, und alles ein bisschen langsamer, aufmerksamer und liebevoller zu machen. Und davon nehme ich dann etwas mit in die nächste Hochzeit, in der ich wieder mehr Arbeit haben werde, als ich eigentlich bewältigen kann, denn das ist die andere Seite der Medaille, dieser wilden, freien und wunderbaren Selbständigkeit mit Handarbeit, dem Glück von der eigenen Hände Arbeit leben zu dürfen.

in: Einblicke und Ausblicke